Wirtschaftsminister Habeck in Brasilien: Klimaschutz vor Wohlstand

Der Regenwald beginnt direkt hinter der Dorfschule. Wie eine grüne Wand erhebt er sich hinter den Holzbauten von Tres Unidos, einem Dorf mit 150 Einwohnern im Nordwesten Brasiliens, etwa eine Stunde mit dem Schnellboot auf dem Rio Negro von Manaus entfernt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat sich den Willkommensgruß der indigenen Bevölkerung auf die Wange malen lassen, die Solarpaneele auf den Dächern der Wohnhäuser begutachtet, das lila angestrichene kleine Hotel besichtigt und schließlich die Schule.

Julia Löhr

Wirtschaftskorrespondentin in Berlin.

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Doch Habeck wäre nicht Habeck, wenn er nur die vorgesehene Route nehmen würde. Auf einmal steht er im brasilianischen Dschungel, schwarze Insekten krabbeln über sein durchgeschwitztes weißes Hemd. „Wir sind dauernd in Bürogebäuden, fahren mit Dienstwagen von A nach B“, sinniert er. „Einmal muss man doch versuchen, diese Oberfläche zu durchbrechen.“ Soll heißen: Nicht nur über den Regenwald reden, sondern hinfahren.

Das Amazonasgebiet ist die dritte Station auf Habecks bislang längster Auslandsreise. Deren beherrschendes Thema ist Mercosur, das schon lange verhandelte, aber nie umgesetzte Freihandelsabkommen zwischen der EU und vier südamerikanischen Staaten. In diesem Jahr soll es nun endlich kommen, mit verpflichtenden Zusatzvereinbarungen zum Schutz des Regenwalds, so hoffen es die Europäer.

Verfechter einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft

Doch Habeck wirbt für mehr als nur dieses Abkommen. Er will erreichen, dass sein Verständnis von einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft auch in anderen Ländern Nachahmer findet. Erst der Wohlstand, dann der Klimaschutz, so gehe das nicht mehr, lautet seine Botschaft bei so ziemlich jedem Termin dieser Reise. Beides müsse jetzt Hand in Hand gehen. In Brasilien, wo allein in den vergangenen drei Jahren eine Fläche größer als die Baden-Württembergs abgeholzt wurde, sei es von Goldschürfern oder Sojabauern, kann Habeck viel gewinnen. Oder auch verlieren, je nachdem, wie es läuft.

Nach Habecks Worten läuft es: super. Seit dessen Amtsantritt zum Jahreswechsel überschüttet die Bundesregierung den neuen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva mit Lob, weil er die Rodungen des Regenwalds bis 2030 stoppen will. Als Habeck zu Beginn seiner Reise in Belo Horizonte in der Halle eines deutschen Mittelständlers steht, der Elektrolyseure für die Herstellung von Wasserstoff baut, ist sein Pathos schwer zu überbieten: „Ich könnte Tränen in die Augen bekommen, dass eine Regierung das Ruder so rumreißt“, sagt er da.

Robert Habeck bekommt bei seinem Besuch von Três Unidos ein Zeichen auf die Wangen gemalt, das dem Schutz dienen soll. : Bild: dpa

50 Millionen Euro zusätzlich für den Schutz des Regenwalds bringt Habeck als Gastgeschenk nach Brasilien mit. Doch noch ist nicht gesagt, ob Lula sein Vorhaben tatsächlich umsetzen kann. Er hat im Parlament keine eigene Mehrheit. Und dann ist da noch die Frage, ob Mercosur in Europa überhaupt mehrheitsfähig ist.

In Deutschland machen sowohl Bauern als auch Umweltorganisationen schon Stimmung dagegen, die einen wegen der Angst vor günstiger Konkurrenz, die anderen aus Sorge, dass die Nachhaltigkeitsklauseln ohnehin nicht kontrolliert werden können. Auch in Frankreich und Österreich gibt es Widerstand. Gut möglich, dass aus Mercosur ein zweites TTIP wird. Gegen das geplante Freihandelsabkommen mit dem Vereinigten Staaten gingen einst Zehntausende auf die Straße, bis die Politik das Projekt beerdigte.

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