Im Rückblick sind alle schlauer, auch die 18 Männer, die am 6. Februar 2013 im Evangelischen Gemeindezentrum Oberursel zusammensaßen, um eine neue Partei zu gründen. Schon bei der Gründung ging es los. Es gab Streit um den Namen der Partei, weil manche meinten, es klinge zu nationalistisch, die Partei „Alternative für Deutschland“ zu nennen. Sie solle lieber „Alternative für Deutschland und Europa“ heißen, also AfDE. Das wurde dann verworfen, aber man konnte sehen, dass die Sorge, die sich später bewahrheitete, schon unter den Gründern verbreitet war, bevor die Partei überhaupt existierte. Und bevor sie gegenüber Außenstehenden behaupten konnten, dass sie völlig unbegründet sei.
Justus Bender
Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Folgen Ich folge
Auch Ränkespiele gab es von Anfang an. Als die Partei fertig gegründet war, wollten alle gehen, da fiel Bernd Lucke ein, dass sie etwas vergessen hatten: Die Partei hatte keinen Sitz. Welchen sollten sie nehmen? Den Wohnort des frischgebackenen Schatzmeisters Norbert Stenzel in Bad Nauheim? Das klang so nach Provinz. Da meldete sich einer, der wohnte in Berlin und bot seinen Briefkasten als Parteisitz an. Alle stimmten zu. Sie wollten Hauptstadtflair.
Erst später kam Lucke der Gedanke, dass eine Partei, die ihren Sitz im Briefkasten von irgendwem hatte, den er gar nicht gut kannte, vielleicht windig wirkte. Also änderte Lucke den Parteisitz in der Satzung zu Bad Nauheim, ohne Absprache, ohne Abstimmung. Das war natürlich nicht richtig. Manche witterten ihre Chance, Lucke gleich wegen eines Formfehlers zu entmachten. Sie beriefen eine Sitzung ein. Es gab großen Streit, dem sich Lucke nur durch eine Entschuldigung und einen kleinlauten Anruf beim Bundeswahlleiter entziehen konnte. Der Ton war gesetzt.
Henkel traute seinen Ohren nicht, als Gauland die Krim-Annexion relativierte
Als der Industrielobbyist Hans-Olaf Henkel ein Jahr später in die Partei eintrat, kam ihm manches seltsam vor. Auf einem der ersten Parteitage verharmloste Parteigründer Alexander Gauland die Invasion der Krim durch Russland als „Einsammeln russischer Erde“. Henkel, der alte Transatlantiker, traute seinen Ohren nicht, aber er tat es ab, weil anderes ihm erfreulich schien, zum Beispiel das Wahlprogramm zur Europawahl. Das enthielt schon harte Sätze zu Abschiebung und Integration, aber es stand auch darin, dass Zuwanderung im Grundsatz notwendig sei.
Auf dem Papier war die AfD nicht so radikal wie die Stimmung, die man in ihr wahrnehmen konnte. Besonders die Führungsriege hielt sich am Papier fest, während die Radikalen sich einfach treiben ließen und auf ihre Gelegenheit warteten. Dann kam der Parteitag, und eine Frau namens Beatrix von Storch schaffte es mit einer Rede über Chlorhühner, die Stimmung gegen ein Freihandelsabkommen mit den Amerikanern zu drehen. Das war für einen Wirtschaftsliberalen wie Henkel natürlich ein schwerer Schlag, und er merkte, wie flatterhaft und emotional die Mitglieder sein konnten. Hätten sie weniger auf die Buchstaben und mehr auf die Menschen schauen müssen, um die Abgründe zu erkennen?
Ein Mann mit Deutschland-Schärpe beim Gründungsparteitag der AfD, der damals mit Vorliebe fotografiert und gefilmt wurde. Später stellte sich heraus, dass er ein Russlanddeutscher war, der nur gebrochen Deutsch sprach. : Bild: dpa
Es gab Zwickmühlen, die nicht so leicht zu lösen waren. Zum Beispiel beim Wachstum. Die AfD wuchs wie verrückt, es gab waschkorbweise Mitgliedsanträge, die von völlig überforderten Vorständen bearbeitet werden mussten. Aus heutiger Sicht ließe sich sagen: Hätten sie eben mit Zeit und Sorgfalt schauen müssen, dass keine Radikalen reinkommen. Das war damals nicht so einfach: Neu gegründete Parteien bekommen nicht gleich etwas von der Parteienfinanzierung. Es dauert Jahre und viele Landtagswahlen, bis der Geldstrom stabil ist. Vorher hat eine Partei neben Spenden nur eine Geldquelle: Mitgliedsbeiträge.
Der Beitrag Zehn Jahre AfD: So war das nicht geplant erschien zuerst auf News – Neuigkeiten – Nachrichten – Information.